Am Wochenende nach meiner Freiwilligenarbeit in Newcastle und vor meinem Surfkurs in Byron Bay begab ich mich auf einen Ausflug in die Blue Mountains, einem einzigartigen Natur-Paradies nur zwei Stunden mit dem Zug von Sydney entfernt. Die Berge haben ihren Namen von den Gasen, die die ätherischen Öle der Eukalyptusbäume, die dort überall wachsen, abgeben, und dadurch die Luft in der Ferne leicht bläulich färben.
Three Sisters und Katoomba Falls
Am Samstag schlenderte ich ich durch die Stadt Katoomba, wo ich auch übernachtete, zu den Three Sisters, einer beeindruckenden Felskombination.
Von dort aus starteten einige Wanderwege in die Umgebung, von denen ich einen zu den Katoomba Falls, einem kleinen Wasserfall am Rande der Stadt, nahm und die mysteriöse und neblige Stimmung auf dem Weg dorthin genoss. Hätte ich länger Zeit gehabt, so hätte ich weitere Strecken ausgewählt und ganze Tagesausflüge gemacht, aber an dem kurzen Wochenende blieb mir dafür leider keine Zeit. Vor allem nicht, weil ich mir für den Sonntag etwas noch spannenderes vorgenommen hatte:
Mission Curiosity – Aufgabe 7 – Natur & Action in den Blue Mountains
Endlich einmal eine Action-Aufgabe! In Südafrika habe ich mir den größten Bungeejump der Welt von der Bloukrans-Brücke und das größte Abseiling vom Tafelberg hinunter nicht zugetraut (man soll ja klein anfangen!), deswegen absolviere ich das erste richtige Abenteuer erst hier in Australien. Und es ist gleich eine Kombination aus zwei Extremsportarten: Canyoning und Abseiling (letzteres heißt wirklich so, da es wohl in den deutschsprachigen Alpen erfunden wurde).
Ausgesucht habe ich mir den Empress Canyon, einen der schönsten der Blue Mountains, wie man mir sagte. Vormittags wurde man durch Abseil-Übungen auf den Nachmittag vorbereitet, an dem man dann durch den Canyon wanderte und sich schließlich einen 30-Meter-Wasserfall am Seil hinunterließ. Als ich das zum ersten Mal hörte, drehte sich mein Magen einmal um. Aber danach habe ich zum Glück vorerst nicht mehr daran gedacht, sodass ich den Ausflug in die Natur erst einmal unbeschwert genießen konnte.
Abseiling im Trockenen am Vormittag
Neben mir wagten fünf weitere Reisende an diesem Tag das Abenteuer: eine Deutsche, ein Ire, ein Engländer (sah aus wie ein junger Philip Seymour Hoffman) und zwei Australier (einer davon sah aus wie eine Mischung aus Jake Gyllenhaal und Mel Gibson). Die beiden Guides, Nathan und Jason, fuhren uns zuerst zu einigen verschieden hohen Klippen, um Trockenübungen für das Wasserfall-Abseilen zu machen. Fünf Meter ging es erst einmal einen großen Felsen hinunter. Wir zogen uns zur Sicherung Helme, Handschuhe und Hüftgurte an, bekamen einige kurze Anweisungen und ließen uns auch schon hinunter. Trotz der geringen Höhe war das schon ein ziemlicher Adrenalin-Kick, obwohl man natürlich wusste, dass eigentlich nichts passieren konnte – das Seil hätte sogar ein Auto halten können.
Nach drei Versuchen, die super funktionierten, gingen wir ein Stück weiter zu einer 15-Meter-Klippe, vor der wir sofort riesigen Respekt hatten. Uns wurde gesagt, dass am Ende der Felswand eine kleine Höhle war, sodass wir mit unseren Füßen keinen Halt mehr an der Wand haben würden. Nun drehte sich mein Magen ein weiteres Mal um 😉 . Ich ließ den anderen den Vorzug und habe erst einmal zugeschaut, bevor ich mich selbst in die Tiefe wagte. Nachdem ich mich mehrmals nervös versichert habe, was ich genau tun musste, wie ich bremsen konnte, was passieren würde wenn ich loslassen sollte und was ich schreien müsste, falls es mir zu viel geworden wäre, überwand ich meinen inneren Schweinehund und nahm die ersten Schritte rückwärts in den Abgrund.
Genau wie bei anderen Action-Sportarten wie Bungeejumping oder Fallschirmspringen ist der Anfang immer das schwierigste. Die Überwindung, die man braucht, um sich gegen die natürlichen Instinkte durchzusetzen, erfordert einen starken Willen, den ich zum Glück im entscheidenden Augenblick aufbringen konnte. Und so wanderte ich mit dem Arsch voran eine steile Felswand in den Blue Mountains hinab, als wäre es das normalste der Welt 😉 . Unten an der Höhle verlor ich dann aber wie vorhergesagt den Halt, sodass mir das Herz kurz vor der Landung noch einmal in die Hose rutschte. Geschafft! Schlimmer kann’s nun nicht mehr werden!
Dachte ich…! Dann kam nämlich die 35-Meter-Klippe, deren erste fünf Meter an der Wand zu bewältigen waren, die restlichen 30 Meter dagegen in der Luft – ohne Wand, ohne Halt, ohne Füße. Nur mit dem Seil und den Händen. Hilfe! So habe ich mir das aber nicht vorgestellt. Schon beim Klettern an den Abgrund wurde mir schlecht. Im Hintergrund sah ich ein wunderschönes Tal der Blue Mountains, das gefühlt mehrere hundert Meter zu meinen Füßen lag. Eigentlich ein Ausblick, der mein Herz aufgehen lassen sollte. Aber das Gegenteil war der Fall. Es hämmerte in meiner Brust und ich fing trotz des lauen Lüftchens zu schwitzen an. Aber so war es nun einmal. Ich war jetzt an der Reihe, und Rückzug kam mir nicht in den Sinn. Also löcherte ich Nathan noch einmal mit all meinen Fragen, die eigentlich vorher bereits beantwortet wurden, nur um Zeit zu schinden. Und er meinte daraufhin nur, ich solle nicht soviel nachdenken, sondern einfach loslegen. Es wäre ganz einfach.
Meine ersten beiden Schritte konnte man fast nicht als solche bezeichnen. Lediglich ein paar Zentimeter brachten sie mich vorwärts (bzw. in diesem Fall rückwärts). Irgendwann war das Seil endlich straff und ich musste mein ganzes Gewicht darauf verlagern, sodass ich horizontal die Wand heruntergehen konnte. Und gedankenlos machte ich das auch, während aus meinem Mund ungläubige Worte und auch ein paar Flüche kamen 😉 . Das Schlimmste war vorbei! Oder? Nein, durch den Adrenalin-Ausstoß ich habe ganz vergessen, dass gleich das Seil mein einziger Halt in der Luft sein würde.
Und schon war es geschehen, meine Füße verloren die Verbindung zur Wand und ich geriet sofort in Rückenlage und hing dort herum wir ein spanischer Serrano-Schinken von der Decke. Doch nun ging glücklicherweise alles ganz schnell. Durch das erhöhte Gewicht lief das Seil rascher durch meine Hände und ich glitt langsam aber sicher (was mir zu dem Zeitpunkt aber nicht so deutlich auffiel) Richtung Boden. Nun wurde mir auch bewusst, warum wir an der rechten Hand zwei Handschuhe anziehen sollten: die Hitze, die durch die Reibung entstand, brannte sich durch sie hindurch in meine über dem Seil zusammengepresste Handfläche, sodass ich, als ich endlich unten angekommen war, froh war, das Seil loslassen zu dürfen. Ab diesem Zeitpunkt zeigte mein Gesicht ein breites Grinsen, das ich so schnell nicht mehr los wurde. Es hat tatsächlich unglaublich viel Spaß gemacht. Der Wasserfall kann kommen!
Canyoning und nasses Abseiling am Nachmittag
Nach paar Sandwiches zum Mittagessen, während dem es höllisch gewitterte und wir Unterschlupf in einem nahe gelegenen Hostel fanden, fuhren wir bei erneutem Sonnenschein zum Startpunkt des Canyons. Nach einer kurzen Wanderung zum Fluss hinunter zogen wir uns dasselbe Equipment wie zuvor an, plus einen wärmenden Wetsuit unter dem Gurtzeug. Und schon ging es los: wir wateten durch den Fluss, gingen durch enge Schluchten, sprangen von Felsen in natürliche Pools und durchschwammen sie bis zum nächsten Felsen, den wir wieder hinaufkletterten. Die wunderschöne Natur auf diese spezielle Art zu erkunden machte tierisch viel Spaß. Nach etwa einer Stunde kamen wir dann bei der letzten Herausforderung an: den Empress Falls.
Der etwa 30 Meter hohe Wasserfall konnte erstmal nur erahnt werden, da wir ein paar Meter von der kleinen Öffnung zwischen den Felswänden entfernt standen, während unsere Führer die Seile befestigten. Doch wir wussten alle, dass das Abseilen mit strömendem Wasser, das von oben auf einen herabprasselt, nicht gerade einfach werden würde. Der einzige Vorteil war, dass die Hände durch das kühle Wasser nicht mehr heiß werden würden und wir uns sogar ohne Handschuhe hinunterlassen konnten.
Und schon ging es los. Ohne groß nachdenken zu können wurde ich von Jason auf den Felsen gewunken, der der letzte seiner Art vor dem tiefen Abgrund war. Alles ging sehr schnell, da es natürlich nicht einfach war, auf der Felskante lange Halt zu finden. Es war keine Zeit, noch letzte Fragen zu stellen. Aber die waren ja eh schon alle beantwortet. Und bevor ich wusste, wie mir geschah, presste ich meine Beine bereits horizontal an die glitschige Felswand, bevor ich kurz darauf wieder auf dem Boden stand. Doch das war nur ein kleiner Felsvorsprung, es ging sofort weiter. Durch das viele, plätschernde Wasser wollte ich dort keine Sekunde verweilen und mich sofort rückwärts über den nächsten Abhang lehnen. Die Angst hatte ich in diesem Moment total vergessen, das Adrenalin lässt einen in einer solchen Situation nur noch gedankenlos funktionieren. Und so hing ich wieder straff am Seil und ging rückwärts die Wand unter dem fallenden Wasser hinunter. Einmal schleuderten mich die Wassermassen um meine vertikale Achse, einmal verlor ich den Halt und rutschte ab, sodass ich vollkommen am Seil hing, und einmal prallte ich fast auf meinen Vorgänger, der sich etwas langsamer abseilte als ich. Aber alles war im Endeffekt sicher genug und machte total viel Spaß, bis ich in das Becken am Ende des Wasserfalls platschte und alles nach einer Minute vorbei war. Ich klippte meinen Abseilhaken vom Seil ab und schwamm total erleichtert und froh ans Ufer, wo Nathan wartete und mir gratulierte.
Das Abenteuer hat sehr viel Spaß gemacht und ich bin mir sicher, dass ich das irgendwann wiederholen möchte – aber erst dann, wenn die Angst vorm Abgrund, die ich jedes Mal hatte, wieder in Vergessenheit gerät und die erneute Neugierde die eingeprägte Erinnerung übertrifft.