Neben dem Klimawandel existiert ein weiteres Umweltproblem, das für jedermann sichtbar ist – auf Satellitenbildern, beim Strandspaziergang oder in den Mägen toter Wale. Die Rede ist von der gigantischen Menge Plastikmüll, die in den Weltmeeren treibt. Der Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, Erik Solheim, sprach auf dem Gipfeltreffen 2017 von einem bevorstehenden „Ozean-Armageddon“. Was genau unseren blauen Planeten zunehmend in eine Plastik-Brühe verwandelt und wie wirklich jeder von uns einen Teil zum Schutz der Meere beitragen kann, erfährst du hier.
EIN BEDROHTES ÖKOSYSTEM
Laut jüngsten Studien des United Nations Environment Programme (UNEP) treiben derzeit unglaubliche 150 Millionen Tonnen Plastikmüll in unseren Ozeanen. Jährlich kommen rund acht Millionen Tonnen dazu. Würde im gleichen Zeitraum jede Minute ein Lastwagen seine Müllladung im Meer entsorgen, käme man auf die gleiche Menge. Die Meeresströmungen treiben den Abfall zu Teppichen zusammen und transportieren ihn in die entlegensten Winkel des Planeten – wie an die Strände von Henderson Island, einem unbewohnten Eiland im Pazifik, 5.000 km von der südamerikanischen Küste entfernt. Auf jeden Quadratmeter kommen hier mehr als 670 Plastikpartikel. Einige der Müllteppiche tragen bereits Namen. So umfasst der „Great Pacific Garbage Patch“ eine Fläche etwa so groß wie Mitteleuropa.
Dabei ist der an der Wasseroberfläche bzw. an Land treibende Müll nur ein Bruchteil dessen, was sich darunter befindet. 70% des Abfalls liegen auf dem Meeresboden, sei es in den Tiefen des Marianengrabens im Pazifik oder an den Polen. Was sich unserem Blick entzieht, entzieht sich leider meist auch unserer Besorgnis und damit unserem Handeln. Doch die Alarmglocken läuten schrill. Sollte weiterhin Müll im gleichen Ausmaß ins Meer treiben, wird Schätzungen zufolge im Jahr 2050, gemessen am Gewicht, mehr Plastik als Fische im Wasser schwimmen. Die Wege des Mülls bleiben die gleichen. Mehr als 80% der Abfälle gelangen vom Festland über Flüsse und Abwasserkanäle in die Ozeane. Andere Abfallprodukte werden direkt vom Ufer ins Wasser getrieben oder „fallen“ von Fischerbooten oder anderen Schiffen über Bord.
EINE WEGWERFKULTUR
Woher der ganze Müll stammt, ist offensichtlich: von uns. Kunststoff ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken – vom Gehäuse eines Kugelschreibers über Aufbewahrungsboxen bis hin zu medizinischen Geräten. Selbst in unscheinbaren Gebrauchsgütern wie Duschgel oder Zahnpasta sind kleinste Plastikteile enthalten, um u.a. die Reinigungswirkung zu verbessern. Die Erfindung von Kunststoff Ende des 19. Jahrhunderts sowie die massenhafte Produktion und Verbreitung seit den 1950er Jahren hat viele Dinge vereinfacht bzw. gar erst möglich gemacht. Darauf verzichten möchten wir nicht mehr.
Das Problem besteht auch nicht in der Existenz von Kunststoff, sondern vielmehr in unserer Gebrauchskultur. Ein Drittel des produzierten Plastiks wird weniger als fünf Minuten gebraucht, allen voran die vielfältigsten Verpackungen, wie die eingeschweißte Bio-Gurke im Gemüseregal oder der Soja-Fisch vom Sushi-Verkäufer. Genau jenes Einweg- bzw. Wegwerfplastik ist das große Übel, in dem unsere Meere ertrinken. Es wird für nur wenige Augenblicke genutzt, aber treibt so viel länger umher. Eine Plastiktüte, die wir im Schnitt für gerade einmal 15 Minuten nutzen – nämlich von der Kasse bis zum heimischen Kühlschrank – benötigt 20 Jahre, bis sie in ihre Einzelteile verfällt! Doch dazu später mehr.
Derzeit produzieren wir weltweit mehr als 300 Millionen Tonnen Plastik pro Jahr. Tendenz steigend. Doch nur ein Bruchteil des Plastiks wird fachgerecht recycelt. Dahinter steckt nicht nur die eigene Trägheit bei der häuslichen Mülltrennung. So verfügen die USA, Japan und die EU zwar über wirkungsvolle Müllaufbereitungsanlagen, doch sie sind eben auch führend in der Erzeugung von Verpackungsmüll. In den Schwellen- und Entwicklungsländern hingegen ist die Abfallentsorgung unzureichend. Es fehlt an der Infrastruktur und mitunter auch an der nötigen Aufklärung. Weltweit gelangt knapp ein Drittel der jährlich anfallenden 78 Millionen Tonnen Plastikverpackungen unkontrolliert in die Umwelt, so der WWF. Massen davon fließen über die Flüsse ins Meer, wie u.a. die Ocean Cleanup Foundation nachgewiesen hat. 15 der 20 am stärksten verschmutzten Flüsse liegen in Südostasien. Im Wasser gesellen sich kleinste Plastikteile wie Kunstfasern vom Wäschewaschen oder Peelingkugeln im Duschgel hinzu, die unsere Kläranlagen ungehindert passieren.
LEIDENDE MEERESBEWOHNER
„Every little piece of plastic manufactured in the past 50 years that made it into the ocean is still out there somewhere.“
Tony Andrady, Chemiker des amerikanischen Research Triangle Institute
Und es wird noch sehr viel länger „dort draußen“ sein. Denn der große Anteil an Kunststoff ist biologisch nicht abbaubar. Vielmehr verfällt es in kleinste Teilchen, dem sogenannten Mikroplastik, das kleiner als 5 mm ist. Mehrere hundert Jahre kann dieser Verfall andauern. So lassen sich die Plastikringe eines Sixpacks oder eine Plastikflasche nach Angabe des WWF mehr als 400 Jahre Zeit, bis von ihnen nichts mehr übrig ist als abertausende Mikroteilchen. Zusätzlich geben sie stetig Giftstoffe ab und binden zugleich andere Toxine aus der Umgebung. Das Meer ist voll von jenen millimeterkleinen Plastikrückständen. Auch der Sand einiger Strände auf Big Island, Hawaii, besteht zu 15% aus Mikroplastikkörnern! Wer möchte da noch barfuß laufen?
Doch die Auswirkungen sind viel verheerender als knirschendes Plastik unter unseren Füßen. Neben der Verschmutzung der Ozeane und Küsten sind es vor allem die Meeresbewohner, die unseren Müll im wahrsten Sinne des Wortes ausbaden müssen. Dem Magazin National Geographic zufolge sind mehr als 700 Arten betroffen – angefangen beim Plankton bis hin zum Wal. Sie verwechseln das im Wasser schwimmende Plastik mit Nahrung. So kann eine Schildkröte eine Plastiktüte nicht von ihrer bevorzugten Nahrungsquelle, der Qualle, unterscheiden. In den Mägen sammelt sich das Plastik, die Verdauungswege verstopfen und die Tiere verhungern qualvoll. Jedes Jahr verfangen sich zudem unzählige Wale, Robben und Seehunde in Tauen und Netzen, die bei der Fischerei verloren gegangen sind oder unachtsam weggeworfen wurden. Forscher gehen davon aus, dass bisher eine Million Vögel an Plastikmüll verendet sind, zumeist erstickt an Deckeln von PET-Flaschen.
Zudem nehmen die Meeresbewohner über die Nahrung winzige Plastikteilchen und damit auch die toxischen Stoffe des Kunststoffs auf. Untersuchungen wiesen Mikroplastik sowohl in Fischen, Muscheln und Krustentieren nach, mit Auswirkungen auf deren Fortpflanzung, Immunsystem und wichtige Organe. Man bedenke – am Ende der Nahrungskette stehen wir, die Verursacher. Letztendlich beeinträchtigt der Plastikmüll die Lebensräume der Meeresbewohner. Schwämme oder Muschelbänke werden bedeckt und so deren Besiedlung verhindert, Korallenbänke beschädigt und womöglich schädliche Erreger über die Strömungen in empfindliche Ökosysteme gebracht.
TRAURIGE BEISPIELE
• Mehr als ein Drittel der Lederschildkröten haben laut Forschern Plastikknäuel im Magen.
• Untersuchungen gestrandeter Eissturmvögel ergaben, dass 95% Plastikteile im Magen hatten.
• Anfang 2016 wurden im Magen eines gestrandeten Pottwals Teile eines mehrere Quadratmeter großen Fischernetzes gefunden.
• Basstölpel auf Helgoland bauen ihre Nester aus Plastikfäden und strangulieren sich dabei
ANPACKEN FÜR WENIGER MÜLL
Damit die Vermüllung der Meere nicht fortschreitet, sind ein Umdenken und neue Ansätze seitens der Verbraucher aber auch durch Politik und Wirtschaft erforderlich, seien es eine effektivere Infrastruktur in der Entsorgung, Aufklärungskampagnen oder Förderprojekte in den Entwicklungsländern. In den vergangenen Jahren hat sich bereits einiges getan. 2017 unterzeichneten alle 193 UN-Staaten eine Resolution zur Säuberung der Meere. Zwar handelt es sich dabei um eine bloße Absichtserklärung ohne konkret vereinbarte Ziele geschweige denn Maßnahmen. Aber immerhin wurde der Impuls gegeben. Dieser Charta sind schon einige Länder gefolgt oder sogar vorangegangen.
So sind in den wenigsten deutschen Geschäften noch kostenfrei Plastiktüten erhältlich. In Kenia sind diese ganz und gar verboten, ebenso wie in den Küstenstädten von Chile. Auch australische Supermärkte haben vor Kurzem Einwegtüten aus ihrem Sortiment gestrichen. In Kanada, Neuseeland und Großbritannien traten 2018 Verbote für Mikroperlen in Kosmetik in Kraft. In Deutschland hingegen besteht bisher nur eine freiwillige Verpflichtung der Hersteller, darauf zu verzichten. Ende Oktober 2018 hat das EU-Parlament immerhin für ein Verbot von Wegwerf-Artikeln aus Kunststoff gestimmt. Der Anfang ist also gemacht. Doch auch jeder Einzelne von uns kann einen aktiven Beitrag dazu leisten, der Flut an Plastikmüll Einhalt zu gebieten.
WEGE, DEN PLASTIKVERBRAUCH BZW. -MÜLL EINZUDÄMMEN
• Auf Einwegprodukte im Alltag verzichten, z.B. Strohhalme, Plastikteller
• Unverpackte Nahrungsmittel kaufen, z.B. Obst & Gemüse
• Zum Stoffbeutel statt zur Plastiktüte greifen
• Aus Mehrweg- statt Einwegflaschen trinken
• Coffee to Go im eigenen Thermobecher genießen
• Bei Kosmetik auf die Inhaltsstoffe achten
• Waschmittel aus dem Karton statt aus der Kunststoffflasche
• Müll trennen und fachgerecht entsorgen
• An Müllsammelaktionen teilnehmen
• Trendsportart „Plogging“ betreiben (am Strand joggen und dabei Müll sammeln)
ENGAGIERE DICH MIT UNS IM NATUR- & UMWELTSCHUTZ
Du möchtest beim Umweltschutz gezielt mit anpacken und das nicht nur im privaten Bereich, sondern direkt vor Ort? Entsprechende Hilfsprojekte bieten wir in diesen Ländern an:
Australien, Indonesien (Bali), Costa Rica, Fidschi, Kanada, Mosambik, Neuseeland, Seychellen, Spanien, Tansania.
Dass die Vermüllung durch Plastik auch die Meere vor unserer „Haustür“ betrifft – die Nord- und Ostsee – kannst du im kostenlosen eBook „Zum Zustand der Meere“ nachlesen. Autor des Ratgebers ist der Vorstand der Deutschen Stiftung Meeresschutz, Ulrich Karlowski. Weitere Informationen dazu findest du auf folgender Website.